Die ersten Stunden nach dem Leichenfund liefen wohl alles andere als optimal ab. (Archivfoto) Foto: Lück

In ersten Stunden nach Fund von totem Unternehmers lief einiges schief - und im Januar vielleicht noch mal.

Horb - Bei der Aufklärung eines Verbrechens sind die ersten Stunden entscheidend. Wissenschaftliche Studien belegen, dass die Chancen, einen Mordfall zu lösen, um mehr als die Hälfte sinken, wenn in den ersten 48 Stunden nach der Tat keine Anhaltspunkte gefunden werden können. Doch im Fall Riecher lief wohl etwas gewaltig schief - und das nicht nur einmal. Denn die ersten Stunden nach dem Leichenfund liefen alles andere als optimal ab:

Der Notarzt am Tatort

Hier lief wohl alles noch reibungslos und hochprofessionell. So belegt die Beweisaufnahme am zweiten Prozesstag im Landgericht Rottweil: Am 2. November 2018 um 10.07 Uhr ging der Notruf in der Leitstelle ein. Laut Protokoll ist die Ankunft des Rettungsteams in der Weikersthalstraße in Nordstetten um 10.13 Uhr. Der 29-jährige Notarzt mit Fachrichtung Anästhesie sagt: "Wir haben aber maximal vier Minuten für die Anfahrt gebraucht." Er schildert die Situation in der Wohnung des Opfers: "Ein erster Blick hat mir gereicht, um zu sehen, dass der Mann schon längere Zeit tot war. Ich habe am Kopf-, Gesicht- und Halsbereich Verletzungen gesehen, die mir sehr merkwürdig vorkamen." Auf den Bildern von der Leiche sieht man starke Hämatome, vor allem im Gesicht. Auch die Liegesituation der Leiche habe ihn stutzig gemacht: "So bleibt niemand nach einem Sturz liegen." Deswegen habe er auch sofort weitere Untersuchungen unterlassen, um die Spurensituation nicht zu verändern. Der ebenfalls anwesende Rettungsassistent ruft die Leitstelle an und meldet einen "unnatürlichen Tod". Die Polizei müsse kommen. Die Leitstelle ruft die Polizei an. Notarzt und Assistent hören mit. Die erste Reaktion der Polizei, so erzählt der Notarzt: "Sie haben uns mitgeteilt, dass der Polizei kein Fahrzeug zur Verfügung steht und es dauern wird." Der Assistent: "Sie sagten: In Horb gebe es eine Bedrohungslage." Ein polizeilicher Vorfall dieser Art ist unserer Zeitung nicht bekannt. Auch in den Pressemeldungen des Wochenendes bis Montag ist - bis auf einen Exhibitionisten am Bahnhof am Sonntag - kein Vorfall aus Horb von der Polizeidirektion Tuttlingen erwähnt. Die Polizei beauftragt stattdessen die Leichenbeschauerin, was sich wohl als Fehler erweist.

Die Leichenbeschauerin

Dieser Schritt sorgt im Schwurgerichtssaal für Kopfschütteln bei der Nebenklage. "Warum wird bei so einer Auffind-Situation die Leichenbeschauerin geschickt und nicht gleich die Spurensicherung?", fragt einer der Anwälte. Fakt ist: Die Leichenbeschauerin – eine Ärztin, die an diesem Samstag Bereitschaftsdienst hat – trifft vor der Polizei ein. "Ich hatte erwartet, dass die Kriminalpolizei schon da ist", erzählt die Frau vor Gericht. Doch niemand öffnet ihr, als sie klingelt. Sie läutet schließlich bei der Mieterin, die ihr die Tür öffnet, so die Aussage der Ärztin.

Einschätzung zweifelhaft

Im Gegensatz zum Notarzt analysiert die Ärztin den Zustand der Leiche ganz anders. "Ich habe keine blauen Flecken gesehen, auch keine Auffälligkeiten im Halsbereich." Die Nebenklage stöhnt geschockt auf und bittet die Leichenbeschauerin, die Bilder der Leiche aus der Akte am Richtertisch anzuschauen. "Können Sie verstehen, dass die Verwandten des Opfers nicht nachvollziehen können, dass man diese starken Verletzungen nicht sehen konnte?" Die Ärztin wirkt selbst sprachlos. "Ich habe überlegt, ob es ein Sturz gewesen sein kann und der Mann vielleicht an einer Hirnblutung gestorben ist, weil Blut aus dem Mund kam." 

Spuren vernichtet?

Dann zieht die Leichenbeschauerin das Opfer am Fundort sogar noch bis auf die Unterhose komplett aus und dreht die Leiche um. Ob sie denn nicht wahrgenommen habe, dass es sich auch um ein Verbrechen handeln könnte, fragt die Nebenklage. "Ja, doch schon. Ich habe ja gesehen, dass er jung war und deshalb auch nach blauen Flecken und Einstichstellen gesucht." Sie schreibt dann "Todesursache ungeklärt" in den Totenschein und empfahl damals eine Untersuchung durch die Polizei. Michael Riecher war zu seinem Todeszeitpunkt 57 Jahre alt. Der Richter nimmt die Ärztin während der Befragung in Schutz: "Sie hat diesen Auftrag erhalten und hat ihren Job gemacht."

Langes Warten auf Polizei

Die Polizei erscheint weiterhin nicht. Um 12.50 Uhr ruft die Mieterin aus dem Haus des Opfers noch einmal auf dem Revier in Horb an, fast drei Stunden nach dem Leichenfund. Noch einmal eine Stunde später kommen zwei Streifenpolizisten, so die Zeugin. Erst am Nachmittag sei dann die Kriminalpolizei erschienen. Die genaue Uhrzeit weiß die Mieterin nicht mehr.

Wieder fehlt ein Fahrzeug

Am 4. Januar 2019 beobachte eine Zeugin mehrere Männer in Nordstetten in der Nähe Mohammed O.s Wohnung. Sie sind mit einem Auto mit Ludwigsburger Kennzeichen dort, scheinen etwas zu suchen. Das ist auffällig, denn es ist bekannt, dass der zweite Hauptangeklagte Iyad B. aus Ludwigsburg kommt. Die Zeugin ruft die Polizei und bringt diesen Vorfall direkt mit dem Mord an Riecher in Zusammenhang. Mohammed O. sitzt zu dieser Zeit in Untersuchungshaft. Unter anderem wegen des „Tatmerkmals Mord“ Wieder kommt laut Zeugin von der Polizei in Horb die Antwort: "Wir haben kein Fahrzeug." Die Zeugin berichtet unserer Zeitung, dass sie eine halbe Stunde auf die Polizei wartet. Dann ruft sie noch einmal an. Erst dann kommt eine Polizeistreife einige Minuten später vorbei. Ihre Ermittlungen bleiben wohl ergebnislos, so bestätigen Ermittler. Holten sich die Männer aus dem Kreis Ludwigsburg, möglicherweise Komplizen der Hauptangeklagten, die Beute aus dem Raub? War die Beute schon weg, als die Polizei aus Horb endlich eingetroffen ist?

Mehr zum Mord in Nordstetten finden Sie auf unserer Themenseite.