Tief im Nationalpark Schwarzwald kann sich Käfer ungehindert ausbreiten: Bringt das Risiken mit sich?

Kreis Freudenstadt/Forbach - Thomas Waldenspuhl, Leiter des Nationalparks Schwarzwald, ist ein ruhiger, vernünftiger Mann, der nicht zu Übertreibungen neigt. Von Katastrophenstimmung hält er gleich gar nichts. Doch wenn Waldenspuhl auf den Borkenkäfer zu sprechen kommt, ist es mit seiner Ruhe vorbei. Bereits 2018 grassierte der Käfer, die Schäden waren beträchtlich, zu allem Überfluss fiel dann auch der Winter nicht allzu streng aus. "Der Borkenkäfer ist im Paradies", sagt der Forstwirt mit sichtlich ernster Miene.

Wenn jetzt heiße und trockene Sommermonate bevorstehen, müssten kommerzielle Waldbesitzer mit dem Schlimmsten rechnen. "Wir wissen nicht, was auf uns zukommt", sagt Waldenspuhl. So wie er das sagt, klingt es bedrohlich – Notfall-Pläne sind bereits ausgearbeitet.

Ortstermin: Der Nationalpark hat in die Wälder über dem Forbacher Ortsteil Herrenwies (Kreis Rastatt) eingeladen. 800 bis 900 Meter Höhe über dem Meeresspiegel, noch ist die Luft am Morgen frisch, die Sonne scheint milde. Als erste Station haben die Experten des Nationalparks die sogenannte Kernzone ausgewählt – den Bereich, an dem bereits heute der Mensch nicht mehr Hand anlegen darf. "Natur soll hier Natur bleiben", nennt das Bernd Schindler, einer der Experten.

Der willkommene Gast sorgt dafür, dass die Wälder nicht zu dicht werden, dass junge Bäume nachwachsen

Was er meint, fällt sofort ins Auge: umgestürzte Fichten allerorten, Folgen von Schnee- und Eisbrüchen, von Stürmen des Winters. Auch der Borkenkäfer kann sich hier ungehindert ausbreiten – er soll es sogar. Denn der Käfer – zumeist handelt es sich um den besonders gefürchteten Buchdrucker – gilt hier gar als willkommener Gast, er sorgt dafür, dass die Wälder nicht zu dicht werden, dass junge Bäume nachwachsen können. "Der Borkenkäfer gehört in den Fichtenwald, wie das Amen in die Kirche", sagt Waldenspuhl dazu. Das klingt irgendwie ökologisch korrekt – heißt aber noch lange nicht, dass der Nationalpark den Käfern völlig freien Lauf lässt.

Die zweite Station des Ortstermins heißt "Käfer-Monitoring". Außerhalb der Kernzone in den sogenannten Pufferstreifen haben die Forstwirte "Borkenkäfer-Fallen" aufgestellt. Sie sehen aus wie kleine Briefkästen, angelockt werden die Tiere mit speziellen Geruchsstoffen, dann können sie gezählt werden, um so das Ausmaß der potenziellen Katastrophe abzuschätzen.

Nur zwei bis drei Millimeter sind die Tierchen groß. Zwar haben die Temperaturen an diesem Morgen noch nicht die vom Borkenkäfer gewünschte Wärme von über 16 Grad erreicht, doch erste Käfer sind bereits in die Fallen gegangen. Tatsächlich meldete die Forstwirtschaftliche Versuchs- und Forschungsanstalt des Landes schon vor Tagen, dass auch in den Höhenlagen des Nordschwarzwaldes "die ersten überwinterten Buchdrucker ausschwärmen". "Oster-Ausflügler", nennen die Forstexperten dieses Phänomen lapidar, man könnte auch Alarmstufe eins dazu sagen.

Die ausfliegenden Tiere bohren sich in die Fichten und Tannen ein, zwischen Rinde und dem Kernholz legen sie ihre Eier, aus denen die Larven schlüpfen. Zunächst versuchen die Bäume durch vermehrte Harzproduktion die Borkenkäfer abzuwehren – doch bei massivem Befall sind diese Versuche vergeblich. Für die Forstwirte und Waldarbeiter des Nationalparks bedeutet der Beginn des Ausschwärmens schlichtweg Schwerstarbeit.

Ob es gelingen wird, die Schutzzone in den Sommermonaten gänzlich frei von dem Insekt zu halten?

Denn so sehr der Buchdrucker und die weit über 1000 weitere Borkenkäfer-Typen in der Kernzone des Nationalparks geschätzt werden – in der Pufferzone sind sie mit aller Härte zu bekämpfen. Rund 500 Meter ist die Pufferzone breit, sie umschließt beide Teile des Parks. Diese Schutzzone hat nur eine Aufgabe: Durch ihre Einrichtung soll verhindert werden, dass der Borkenkäfer auf angrenzende private oder staatliche Wälder überspringt – was für deren kommerzielle Nutzung einer Katastrohe gleichkäme. "Die Bekämpfung des Borkenkäfers in der Pufferzone hat absolute Priorität", sagt Waldenspuhl. Ob es tatsächlich gelingen wird, die Schutzzone in den bevorstehenden Sommermonaten gänzlich "Borkenkäfer-frei" zu halten – ganz so sicher scheint sich auch Waldenspuhl nicht zu sein.

Dritte Station des Ortstermins: Mit schweren Gerät sind Forstarbeiter angerückt, um im Laufe des Winters gebrochene und umgeworfene Baumstämme aus dem Wald zu schaffen. Derartige Opfer von Schnee und Eis und Stürmen sind reichlich vorhanden – und stellen eine erste Gefahrenquelle da. "Erhöhtes Vermehrungspotenzial", meint ein Waldarbeiter mit Blick auf die Hölzer. "Wenn wir sie liegenlassen, werden sie vom Borkenkäfer befallen."

Dann, wenn die Temperaturen steigen, das Hauptausschwärmen der Käfer im Laufe des Mais beginnt, kommt der nächste, der alles entscheidende Schritt im Kampf gegen den tückischen Käfer. Es ist der schwerste Schritt, er klingt wie eine kaum zu lösende Aufgabe: Zwischen drei und fünf Millionen Bäume befinden sich nach Schätzungen innerhalb der Pufferzone. "Jeder Baum muss kontrolliert werden – und zwar Woche für Woche, den gesamten Sommer über", beschreibt Waldenspuhl die Herkulesaufgabe. Als erstes Anzeichen des Befalls gilt vermehrtes Baummehl am Boden der Fichten, später helle Flecken an der Baumrinde, im letzten Stadium färben sich die Nadeln leicht rot. Das Problem: Sind Bäume erst einmal befallen, hilft nur noch radikales Abholzen. Zugleich müssen die befallenen Fichten innerhalb von maximal 14 Tagen aus dem Wald geschafft werden – nur so kann verhindert werden, dass sich die Larven entwickeln.

"Wir tun das Menschenmögliche", sagt Waldenspuhl. Es gilt zu verhindern, dass der Borkenkäfer sich auf kommerziell-genutzte Wälder ausbreitet. Katastrophenstimmung wolle er nicht verbreiten, betont der Nationalpark-Leiter nochmals. Aber Notfall-Pläne stünden bereits bereit. Alles kommt darauf an, wie das Wetter in den nächsten Monaten wird. Hitze und Dürre wären Gift für den Wald. "Ich wünsche mir einen regenreichen Sommer mit Temperaturen um 20 Grad."